Raumgleiter für Fortgeschrittene

Bei der R-Klasse von Mercedes gerät man ins Schwärmen. Oder zumindest ins Philosophieren: Ist sie als stressfreier Raumgleiter für endlose Highways ihrer Zeit voraus? Oder vermittelt sie zu stark den American Way of Drive? Zumal diese Art der Fortbewegung in unseren Breitengraden ja eher verpönt ist. Dafür sprechen jedenfalls die heimischen Zulassungszahlen, die selbst für so ein Luxusgefährt bescheiden ausfallen.

Mercedes R 350 BlueTEC 4Matic lang Viel Auto für viel Geld, aber in gediegener Daimler-Qualität. Diese „Formel“ hat sich im Grunde noch bei jedem Mercedes bewährt. Bloß die im US-Staat Alabama gebaute R-Klasse (wo übrigens auch M- und GL-Klasse entstehen) bleibt angesichts ihrer verkauften Stückzahlen hier zu Lande ein Sternenträger für Individualisten. Wenngleich man einräumen muss, dass sich der Absatz gegenüber dem Vorjahr mehr als verdoppelt hat! Heuer wurden bis inklusive September 63 Exemplare neu zugelassen (Quelle: Statistik Austria).

Datenblatt
Motor 24V-V6-Turbodiesel, 2.987 ccm, Partikelfilter, Euro 6
Leistung 155 kW/211 PS bei 3.400/min
Spitze 220 km/h
Testverbrauch 10,3 l/100 km
Normverbrauch 8,5 l/100 km
CO2 223 g/km
L/B/H 5.157/1.922/1.674 mm
Leergewicht 2.305 kg
Gesamtgewicht 3.050 kg
Preis EUR 73.900,- inkl. 13% NoVA und 20% MwSt.
Stand: Oktober 2011

Die plausible Erklärung dafür: Zur Jahresmitte 2010 wurde die R-Klasse einer umfassenden Verjüngungskur unterzogen. Auffälligstes Kennzeichen: eine deutlich repräsentativere Frontansicht als zuvor. Wodurch die Großraum-Limousine trotz ihres funktionalen Blechkleids noch feudaler erscheint. Mit langem Radstand erstreckt sie sich immerhin über 5,16 Meter. Damit ist die R-Klasse nach wie vor „das variabelste und geräumigste Fahrzeug in der gesamten Mercedes-Benz-Pkw-Produktpalette“, wie ihr der Hersteller selbst attestiert. Und wir haben uns davon überzeugt…

Auto-Kaufberatung.at war mit einer Langversion der R-Klasse unterwegs: dem 350 BlueTEC mit 4Matic, einem der weltbesten Allrad-Systeme. Der BlueTEC mit seinem drehmomentstarken, 211 PS leistenden V6-Diesel ist außerdem der Saubermann der Baureihe, weil er bereits die Euro-6-Emissionsklasse schafft, die erst ab September 2014 zur Pflicht wird. Und noch etwas hat das gut 2,3 Tonnen schwere Testexemplar geschafft: einen Verbrauchsschnitt von 10,3 Litern bei eher forcierter Fahrweise. Ein respektabler Wert.

Trotzdem lädt der Charakter der R-Klasse eher zum Cruisen ein. Bei Nässe schätzt man zwar die gute Traktion dank 4Matic, unterfordert in der Regel aber die hohen Fahrwerksreserven. Zumindest auf kurvenreicher Strecke, wo die im Testexemplar installierte Luftfederung dem Handling nicht unbedingt zuträglich war. In der wählbaren „Sport“-Einstellung (wird durch adaptive Dämpfer ermöglicht) werden die sanften Wankbewegungen zwar weitgehend unterdrückt, doch beraubt man damit die Passagiere des formidablen Federungskomforts.

Also heißt die Devise: Gleiten statt hetzen. In dieser Disziplin ist die R-Klasse ohnehin unschlagbar. Zumal auch die Siebengang-Automatik (ruckfrei und perfekt übersetzt) nahezu unmerklich ihre Arbeit verrichtet. Einziger Schönheitsfehler: das verzögerte Ansprechverhalten auf abrupte Gasbefehle – egal, ob im „Economy“- oder im „Sport“-Programm.

Unverändert großzügig sind die Platzverhältnisse in einer siebensitzigen R-Klasse. Sogar auf dem etwas schmal anmutenden Mittelsitz der zweiten Reihe gibt’s keine Klagen über mangelnde Bewegungsfreiheit. Ebenso wenig, was Funktionalität und Variabilität betrifft. Wer hier unter Raumnot leidet, dem bleibt als nächste Stufe nur mehr das Kleinbus-Format. Wofür Mercedes übrigens ein adäquates Modell parat hält.

Eine gewisse Flexibilität erfordert freilich auch die Finanzierung dieses Premium-Allrounders. Um knapp 74.000 Euro muss man Konto oder Sparbuch für einen Mercedes R 350 BlueTEC 4Matic erleichtern. Darin sind zwar schon zahlreiche Sicherheits- und Komfort-Features enthalten, aber schwäbische Aufpreislisten sind bekanntlich ebenso verlockend wie Schweiß treibend.

Ein wenig getrocknet werden die Schweißperlen durch erfreuliche Restwert-Prognosen, in denen die R-Klasse innerhalb ihres Segments traditionell sehr gut abschneidet. Offenbar spielt die Beliebtheit als Neuwagen beim Wiederverkauf keine so große Rolle, wenn auf dem Kühlergrill ein Stern prangt. Dessen Stellenwert ist schließlich wieder gewachsen: Neuesten Studien zufolge ist Mercedes-Benz nämlich die wertvollste Marke Europas.

SENIOREN SPECIAL  (Erklärung siehe Rubrik „Über uns“)

Was meint unser 73-jähriger Seniortester zur R-Klasse? „Auf den ersten Blick könnte man sie für die Kombi-Variante vom Mercedes CLS halten. Nur eben eine Nummer größer. Doch wenn schon ein Großraum-Auto mit Allradantrieb, würde ich persönlich einen 4×4-Van bevorzugen. Für die R-Klasse spricht eigentlich nur, dass sie schnittiger aussieht.“

Freilich: „Der Sitzkomfort ist überragend. Natürlich auch wegen der sänftenartigen Airmatic (die Luftfederung, Anm. d. Red.). So eine Option müsst’ es halt auch für kompaktere Modelle geben. Ich kenne genügend Leute in meiner Altersklasse, die dafür einen satten Preisaufschlag in Kauf nehmen würden. Hauptsache, sie müssen nicht mit so einem Riesenschiff umhergondeln. Denn Stadtauto ist die R-Klasse mit ihrem Wendekreis ja wirklich keines.“

Etwas mehr Fairness, bitte! Die R-Klasse wird schließlich nicht als Zweitwagen für die City angepriesen. „Okay, die Überlandfahrten habe ich durchaus genossen. Wobei das Auto, wie man es bei einem Mercedes früher geschätzt hat, eher zu defensiver Fahrweise erzieht. Da spielen verschiedene Faktoren mit – wie zum Beispiel die Lenkung, die für meinen Geschmack etwas mitteilungsbedürftiger sein könnte. In schnellen Kurven wirkt sie zu indifferent. Im Stand ist sie übrigens relativ schwergängig.“

Fazit? „Die R-Klasse ist in meinen Augen ein Chauffeursauto. Natürlich nicht, um damit den Herrn Direktor zu kutschieren. Dafür gibt es ja eine S-Klasse. Sondern um mit Freunden oder Kind und Kegel große Reisen zu unternehmen. Wobei es in meiner Generation sicher Herrenfahrer gibt, die sich für solche Zwecke aus Prestigegründen eine R-Klasse zulegen würden. Und wenn ich ausnahmsweise für eine andere Zielgruppe sprechen darf: Für junge Familienväter mit dicker Brieftasche wird die R-Klasse wahrscheinlich nur dann eine echte Alternative zu einem Van sein, wenn sie Mercedes sportlicher abstimmt.“

Alles über die Qualitäten der R-Klasse in ihrer Funktion als „Raumgleiter“ finden Sie in der Foto-Galerie.

Website des Importeurs: www.mercedes-benz.at

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